Was geschieht, wenn ich bei einem schwer hirngeschädigtem Menschen eine künstliche Ernährung beende?
Aktuell stellen wir gerade jeden Sonntag auf Osthessen News unser Buch „DIE PFLEGETIPPS – Palliative Care“ Kapitel für Kapitel vor. Letzten Sonntag war „Unruhe“ das Thema. Am Sonntag, den 18.12.22 wird es „Hunger“ sein. Nun fragte mich just heute die Pflegedienstleistung eines Altenheimes, wie es dem Patienten gehen wird, wenn man die künstliche Ernährung über eine PEG-Sonde abbricht. Schauen Sie doch einfach einmal Sonntag auf Osthessen News, in YouTube und Spotify.
Dazu möchte ich gerne hier noch etwas extra erklären. Erst einmal: Wir brechen die Ernährung nicht ab, sondern führen die künstliche Ernährung nicht weiter fort. Abbrechen oder nicht fortführen? Das ist emotional, ethisch und rechtlich ein himmelweiter Unterschied. Außerdem ist künstliche Ernährung nicht-natürlich, unnatürlich und darf nur mit der ausdrücklichen Einwilligung des Patienten geschehen.
Hat nun ein Mensch einen Hirnschaden, so muss man überlegen, was er wie lange gewollt hätte. Im Zweifel sollte man immer erst einmal für das Leben entscheiden. Aber nach Wochen, Monaten, Jahren, Jahrzehnten können sich solche Entscheidungen ändern. Ist es dann klar, dass der Mensch nicht mehr künstlich ernährt werden will, darf man dies nicht weiter fortsetzen.
Zeitgleich sollte man überlegen, ob andere lebenserhaltende Maßnahmen, Medikamente vielleicht auch nicht weiter fortgeführt werden sollten. Gehen wir jetzt einmal davon aus, dass der Mensch gut ernährt worden ist. Er bewegt sich nicht. Also hat er wenig Muskeln, die wurden schon lange abgebaut. Auch sollte er nicht besonders viel Fett haben, wenn er gut ernährt worden ist. Der sogenannte BMI, der Body-Mass-Index liegt bei ihm deutlich unter dem Wert, der für uns gesunde, aktive Menschen üblich ist. Ich selber wiege 79 kg auf 179 cm. Das ist ein BMI von 24,6.
Hunger und Durst hat ein Mensch der mit schwerem Hirnschaden kaum mehr irgendwelche Reaktionen zeigt sicher nicht. Er isst und trinkt nicht selber. Zeigt keine besonderen Reaktionen, wenn er keine Nahrung und keine Flüssigkeit mehr bekommt. Wenn ich abmagere bis auf die Hälfte, auf knapp 40 kg habe ich einen BMI von 12,4 und bin noch lange nicht am Sterben. Ich habe schon einmal einen ähnlichen Patienten mit einem BMI von knapp unter 9 erlebt. Da sind nur noch Haut und Knochen und geschrumpfte Organe. Aber das Leben geht weiter.
Entschließen wir uns also, nicht weiter das Leben künstlich zu erhalten, ist es für mich keine gute Idee, die Nahrung zu reduzieren oder abzusetzen und weiter Flüssigkeit zu geben. Selbst mit 500 ml pro Tag können wir oftmals das Sterben noch viele, viele Monate aufhalten.
Hat der Mensch viel Wasser eingelagert, Ödeme, kann ein Sterben sich auch ohne extra Flüssigkeit hinziehen. Der Speicher wird wie bei einem Kamel langsam abgebaut. Ich habe schon bei Ödemen sechs Wochen ohne Flüssigkeit erlebt.
Ich empfehle, Nahrung und Flüssigkeit ganz abzusetzen. Das fällt manchmal schwer. Man muss es auch nicht Hauruck von heute auf morgen übers Knie brechen. Aber das ist mein Ziel.
Die Medikamente sollte man auf das ganz Wesentliche reduzieren. Nur das sollten wir geben, was zuvor auch schon gegen Schmerzen und Unruhe nötig war. Wir sollten den Menschen gut beobachten und dokumentieren, was wir sehen. Wir werden meist merken, dass er entspannter, ruhiger, gelassener wird. Denn Fasten setzt Glückshormone, Endorphin, Endocannabinoide, Dopamin frei. Die tragen zum besseren Befinden bei. Das hat die Natur oder auch der liebe Gott, wie sie es eben glauben, sehr gut für uns eingerichtet.
Eine gute Mundpflege hilft. Da empfehle ich z. B. Zitronenbutter. Eiswürfel, Flüssigkeit halten den Mund auch feucht. Aber da braucht es viel und wenn der Mensch noch etwas schluckt, wird das Leben oder das Sterben verlängert.
Durch den Mangel an Flüssigkeit wird die Atmung auch deutlich leichter, die Lunge, das Herz ist entlastet. Oft kommt es sonst zu einer lauten Rasselatmung beim Sterben. Bei solchen Menschen ist dies fast nie der Fall. Überhaupt braucht es da keine oder kaum Medizin, Fachkenntnisse am Sterbebett. Oft braucht es aber (seelischen) Beistand durch einen erfahrenen Arzt, der auch Verantwortung mit übernehmen kann und sagen kann, was kommen wird und Ängste nehmen kann.
In der Regel geht das Leben dann nach fünf bis zehn Tagen zu Ende, wie bei einer Kerze, der das Wachs ausgeht. Es verlischt ganz ruhig.