Fastenpredigt


Ethische Probleme der Palliativmedizin

Fastenpredigt zum dritten Sonntag in der Fastenzeit, 03. März 2024 in der Kirche Mariae Himmelfahrt in Herxheim
Leben schenken – gestalten – bewahren

An der Seite des Lebens

Redigierte Abschrift meiner Ansprache mit Hinweisen/Antworten aus der sich daran anschließenden Diskussion

Liebe Brüder und Schwestern
In der öffentlichen Diskussion haben rein glaubensbasierte, kirchliche Argumente meines Erachtens nichts zu suchen oder zumindest keine Bedeutung. Hier möchte ich gerne christlichen Lesern einige Gedanken zu ethischen Problemen in der Palliativversorgung näherbringen. Vielleicht ist es mehr meine evangelische Sicht? Ich kann es nicht sagen, Sie werden es nach meinen zehn kurzen Gedanken entscheiden mögen.

1 Angelus-Gebet
Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.
Welch einen verborgenen Schatz besitzen praktizierende Katholiken. Erinnert Sie doch das Angelus Gebet mit jedem Glockenläuten an jedem Morgen, an jedem Mittag, an jedem Abend daran sterblich zu sein! Den meisten Protestanten ist es wohl weitgehend unbekannt. Als Mann in einer stark katholisch geprägten Familie ist es mir vertraut. Wenngleich es von den meisten Katholiken wohl viel zu wenig aktiv genutzt wird.
Aber hatten nicht schon die römischen Imperatoren beim Triumphzug durch Rom einen Sklaven hinter sich, der sie beständig erinnerte: „Memento mori.“
Die Erinnerung an die eigene Sterblichkeit wird in der heutigen Zeit oft verdrängt.

2 Natalie R.
Wir versorgen eine schwerst hirngeschädigte Patientin. Eine junge, 24-jährige Frau, die beinahe erwürgt wurde vom Ex-Freund. Sie kann sich nicht verständlich äußern, aber, sie zeigt eindeutige Panik bei Männerstimmen im Raum. Panik bei der Pflege, wenn man ih- ren Hals berührt. Panik, wenn der Schlauch, der in ihrem Hals steckt, gewechselt werden muss.
Und das ist oft.
Was macht man da als Mensch, als Angehöriger, als Pflegefachkraft? Was würden Sie dabei empfinden? Was würden Sie überlegen? Was würden Sie tun?
Sie können mehr dazu im Heft 2023-4 und Heft 2024-1 des Magazines der Deutschen PalliativStiftung „schöner leben …“ lesen, Download möglich unter www.schoener-leben.info .

3 Ein Papstzitat
Ich bin evangelischer Christ, mich hat aber niemals im Leben ein Mensch mehr beeindruckt als Papst Franziskus, mit dem ich kurz sprechen durfte. Ich bin danach öfters in Rom gewesen zu Gesprächen über und Veranstaltungen für die Fragen des Lebensen- des. Papst Franziskus schrieb später im Grußwort zu einem Kongress der World Medical Association im Jahre 2016 zur den technischen Möglichkeiten der Lebenserhaltung:
„Eine solche Entscheidung erkennt verantwortungsbewusst die Grenzen unserer Sterb- lichkeit an, sobald klar wird, dass es aussichtslos ist, sich ihr zu widersetzen.
Hier will man nicht den Tod herbeiführen, sondern man akzeptiert lediglich seine Unfähig- keit, ihn zu verhindern (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2278). Dieser Unter- schied in der Perspektive stellt die Menschlichkeit in der Begleitung der Sterbenden wie- der her, ohne die Unterdrückung der Lebenden rechtfertigen zu wollen. Es ist klar, dass das Unterlassen oder Aussetzen unverhältnismäßiger Maßnahmen bedeutet, eine übermäßige Behandlung zu vermeiden; vom ethischen Standpunkt aus gesehen ist dies et- was völlig anderes als die Euthanasie, die immer falsch ist, da die Absicht der Euthanasie darin besteht, das Leben zu beenden und den Tod zu verursachen.“

4 Ein zweites Zitat von Papst Franziskus:
Papst Franziskus sagte bei seinem sonntäglichen Angelus-Gebet am Karnevalssonntag, 11.02.2024:
„Fragen wir uns heute: Höre ich den Menschen zu, bin ich zugänglich für ihre positiven Anliegen? Oder erfinde ich Ausreden, zögere ich, verstecke ich mich hinter abstrakten und nutzlosen Worten? Wann habe ich das letzte Mal einen einsamen oder kranken Menschen besucht – jeder antworte in seinem Herzen – oder wann habe ich das letzte Mal meine Pläne geändert, um auf die Bedürfnisse derer einzugehen, die mich um Hilfe bitten?“.
So hat er uns direkt angesprochen. So will ich auch Sie konkret ansprechen.
Bitte werden Sie aktiv.
Hören Sie hin.
Sehen Sie nicht weg.
Nehmen Sie die Not der Nächsten wahr.
Nehmen Sie die Not der Gesellschaft wahr, die sich jetzt nicht zum Guten hin verändert. Werden Sie Palli-Aktiv.

5 Zur öffentlichen „Sterbehilfe“Diskussion.
In Wirklichkeit ist dies eigentlich eine Tötungshilfe-Diskussion.
Stellen Sie sich vor, ein lieber Mensch in höchster körperlicher, auch seelischer Not, mit Schmerzen, Atemnot, furchtbarsten Wunden bittet Sie um Hilfe. Um Erlösung.
Vielleicht hat es der eine oder andere schon erlebt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was es mit einem Menschen macht. Ich habe einen Bruder, der mit 17 durch Suizid gestorben ist, einen Großvater, drei gute Freunde, die durch Suizid gestorben sind. Was es mit einem Menschen macht, wenn ich den Ausweg suche und das Lebensende schneller herbeiführe.
Hier ist Hören, Schweigen wichtiger als Reden.
Denken Sie bitte kurz darüber nach, über Ihre Erfahrungen, Ihre Gefühle, Ihre Ängst, be vor Sie weiterlesen.

6 Das allgegenwärtige Framing.
„Framing“, das ist die Rahmengebung um ein Ziel herum. Das, was ich tue, wenn ich etwas durchsetzen will. Die Öffentlichkeitsarbeit, die Stimmungsmache, selektiv herauspickend einige Aspekte, Wichtiges unterschlagend, teils auch klar zu desinformieren. Fra- ming ist auch in der Diskussion ums Lebensende allgegenwärtig.
1943 gab es den Film „Ich klage an.“, erstklassig umgesetzt, man könnte auch heute noch sehr gut damit „Werbung für Sterbehilfe“ machen.
2012 „Liebe“ von Nikolaus Harnancourt. Umjubelt. Preisgekrönt. Ein Ehemann erstickt seine demente Ehefrau mit einem Kissen.
2014 und auch noch einige Male mehr. Moderator Stefan Hallaschka begleitet ein Ehe- paar zum TV-Doppelsuizid bei Dr. Preisig in Bern.
… und viele, viele andere Beiträge in Wort, Schrift und Bild inszenieren das Sterben, he- roisieren den Kampf ums Tiertötungsmittel NatriumPentobarbital (NaP) zur Selbsttötung von Menschen und beschönigen den Suizid als Lösung gegen unerträgliches Leiden. Auch in der Bundestagsdebatte zum § 217 StGB wird von manchen Abgeordneten Wich- tiges verschwiegen und Emotionales falsch verüberdeutlicht: „… Der Tumor, der stinkend aus dem Hals wächst …“, da müsse man doch helfen, so formuliert es Pfarrer Peter Hintze MdB.

7 Noch ein echter Patient
Eine Patientin, Ende 20, möchte ich Ihnen ans Herz leben. Krebs, mit sehr belastenden Metastasten am Oberkörper. Sie fragt mich irgendwann, als sie Angst bekommt, es ein- mal nicht mehr ertragen zu können. Wie kann sie sich im Fall der Fälle das Leben neh- men, wenn sie es gar nicht mehr ertragen kann. Wir sprechen lange darüber. Wir binden auch die Eltern und Geschwister mit ein.
Dann sind wir uns einig, dass die rechtlich erlaubte Selbsttötung in dieser Situation schwierig und unsicher werden wird. Sicher ist dann nur die Tötung durch einen anderen, wenn die Patientin selbst zu schwach ist. Ich weiß, dass es nahezu immer ist, dann medi- zinisch andere Lösungen zu finden. Da bin ich mir nahezu vollkommen sicher. Zu 100,000 %. Wir können das Leiden immer anders lindern. Ich bin Anästhesist und als solcher verstehe ich mein Handwerkszeug der Linderung und zum Schlafen legen. Ich sage ihr als Ultima Ratio, also letzte unwahrscheinliche Lösung zu, dann bringen wir es für Sie zu Ende.

8 Lindern immer!
Was kommt danach? Dreimal blutet sie so, dass es ohne Hilfe zum Tode führen wird. Dreimal rette ich ihr das Leben, weil es blutet. Hätten wir die Blutung nicht gestoppt, ein völlig leidreier Tot wäre zu ihr gekommen. Aber sie wollte weiterleben, bis sie schließlich eines natürlichen Todes stirbt.
Ohne mein Versprechen hätte sie sich wohl schon vorher ihr Leben genommen. So konnte sie in Sicherheit weiterleben. Sie hat gewusst, wenn das Leiden wirklich überhandnähme, wenn es wirklich unerträglich würde, würden wir sie davon befreien, auch vom Leben befreien. Und das hat sie am Leben gehalten.

Und hätte ich, Gott bewahre, mein Versprechen einlösen müssen, so hätte ich mich dafür vor Gericht verantworten müssen.
Aber für viele andere Palliativexperten, auch für mich, gäbe keine vorstellbare Möglichkeit, solch allerseltenste Ausnahmefälle vorab gesetzlich zu regeln, ohne damit auf die schiefe Ebene zu kommen von der Suizidassistenz, über die Tötung auf Verlangen und dann auch zur Tötung ohne Verlangen. Für Erwachsene und später auch für Kinder jeden Alters. So haben es uns bereits viele andere Länder vorgemacht. Einer gutgemein- ten und restrikten Regelung folgt bald darauf die Verschiebung der Grenzen und Roten Linien.
Die Linderung des Leidens und die Unterstützung des Patienten stand auch früher schon im Zentrum der Aufgaben des Arztes, wie ein französisches Sprichwort aus dem 16. Jahrhundert zusammenfasst: Guérir quelquefois, soulager souvent, consoler toujours („Heilen manchmal, lindern oft, trösten immer“).
Heute, mit der modernen Medizin, den modernen Methoden, mit exzellenter Ausbildung, mit einem engagierten Team können wir Leiden lindern, von denen es sonst heißt, da kann man nichts mehr tun. Wir haben schon viele Krankheiten ausrotten können. Vieles heilen können. Aber nicht alles. Auch den Krebs werden wir nicht besiegen. Letztlich ist für uns Christen doch auch der Tod nicht das Ende, sondern ein Ziel für den Beginn. Den Beginn des Ewigen Lebens bei Gott, nicht hier auf Erden. Wer möchte denn schon auf der Erde ewig leben? Ich nicht.
In jetzt 46 Berufsjahren in der Pflege und der Medizin habe ich gelernt, dass mit Fantasie, mit Mut, mit Demut, mit viel Fachkenntnis Leiden lindern können, das viele so nicht für möglich halten.
Aber viel zu oft, werden Palliativexperten viel zu spät gerufen und um Hilfe gebeten. Da heißt es dann regelmäßig, „wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre mir soviel erspart geblieben.“ Was dann vorher erlitten werden musste, ist dann nicht mehr zu verhindern. Wir werden als Palliativexperten im Durchschnitt rund dreieinhalb Wochen vor dem Tod hinzu gerufen.
Dabei können wir Leiden lindern und dadurch den Tagen mehr Leben geben und dem Leben mehr Tage.
Dass wir so gut lindern können, bedeutet leider nicht, dass es überall und jederzeit mög- lich ist. Natürlich gibt es Lücken im Netz. Ich habe selbst die ersten SAPV-Teams aufge- baut. Es wird immer Lücken geben aus den verschiedensten Gründen. Und: Nicht überall wo „palliativ“ drauf steht, ist auch „palliativ“ drin.

9 Palli-Aktivisten
Werden Sie bitte aktiv.
Werden Sie palli-aktiv.
Lesen Sie unser Magazin „schöner leben …“, dann sehen Sie, was man alles machen könnte.
Sprechen Sie darüber, was sie erfahren haben.
Viele von uns sind Betroffene in der ein oder anderen Weise.

Legen Sie auch den Finger in die Wunde, wenn die Umstände nicht so waren, wie es möglich gewesen wäre.
Weisen Sie darauf hin, wenn es Missstände in der Palliativversorgung gibt. Schweigen Sie nicht, wenn die angemessene Versorgung schwerstkranker Bewohner von Pflegeeinrichtungen immer schwieriger wird.
Man darf auch sagen, „das Sterben war schön, ich habe jetzt ein Stückchen weniger Angst vor dem Tod.“
Stehen Sie auf, werden sie aufsässig, wenn es Not tut.
Die sogenannte „Sterbehilfe“, in der Regel ist es aber die Tötung auf Verlangen, nimmt rings herum zu. Holland, Belgien, Luxemburg, Schweiz überall gehen die Zahlen nach oben und die Grenzen werden verschoben. In Kanada gibt es schon medizinisch gut ver- sorgte, urbane Regionen – nicht in der kanadischen Wildnis – in denen Tötung auf Ver- langen für 10 % aller Todesfälle verantwortlich ist. Das sind Zuwachszahlen, die ich kaum für möglich gehalten habe.
Mein Ziel?
Herr Castellucci MdB wird hier in 14 Tagen sprechen, er will ein Gesetz zur Regelung der Beihilfe zur Selbsttötung einführen, Wir glauben mittlerweile, dass alle Gesetze und Nor- men die gut gemeint geschaffen werden zur Normalisierung und Akzeptanz ebendieser Tötungshilfe und zur Aufweichung der Grenzen beitragen.
Vielmehr brauchen wir eine Beratung Suizidwilliger anstatt Suizidassistenz zu regeln. Vor einigen Jahren haben wir mit Adelheid und Bernhard Simon in Berlin zusammengesessen. In ihrem Elternhaus ging der Kaplan Josef Ratzinger ein und aus. Adelheid war streitbar, die Berliner Zeitung hat sie einmal „Mutter Mutig“ genannt, sie war Mitgründerin von Donum Vitae. M dabei waren noch Anne und Nikolaus Schneider, die gemeinsam in den Medien ja heftig um den rechten Weg bei der Suizidassistenz rangen. Nikolaus trat als Ratsvorsitzender der EKD zurück, als Anne an Krebs erkrankte. Dazu kamen noch meine Ehefrau und Hausärztin Edelgard Ceppa-Sitte und ich.
Gemeinsam haben wir ein Konzept erarbeitet, wie man ähnlich Donum Vitae eine ergebnisoffene Beratung Suizidwilliger einführen könnte, um diese zu beraten, ohne die Selbsttötungen zu fördern oder zu verhindern. Und gerade durch diese ergebnisoffene, nieder- schwellige Beratung eine Selbsttötung zu verhindern.


10 Ave Maria

Ich möchte schließen mit einem weiteren Ave Maria aus dem dreimal täglichen Angelusgebet:
Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus, der alles vollenden wird. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.
Amen

3 Gedanken zu „Fastenpredigt“

  1. Ich bin so dankbar und froh: Sie sagen, was ich oft zu vermitteln versuche (ich bin Klinikseelsorger mit Schwerpunkt Palliativ-, Onkologie- und Intensivstationen). Geprägt hat mich damals der Nazi-Propaganda-Film, der vor zwanzig Jahren nur in Universitäten gezeigt werden durfte, damit Menschen nicht darauf reinfallen. Natürlich kann Mitleid und Machtlosigkeit auch zu Gewalt führen, aber erfreulicherweise ist in unserem Land die Schmerzlinderung so gut – und zur Not gibt es Betäubung, die kein gewolltes Töten ist.

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