Das Bundesverfassungsgericht hat heute ein sehr überraschendes Urteil verkündet. Erstens können nun in Deutschland wieder Firmen, Vereine, Einzeltöter Beihilfe zur Selbsttötung anbieten, wie sie es für richtig halten.
Zweitens, und das ist wirklich schockierend, wissen wir nun dank der obersten Verfassungsschützer, dass JEDER ein Anrecht auf Beihilfe zur Selbsttötung hat, der sein Leben nicht mehr Wert achtet.
Die Lebenswertdiskussion darf nun auch in Deutschland wieder beginnen …
Mit der PalliativStiftung hatten wir dazu eine Pressemitteilung herausgegeben. Leider, leider ist die Diskussion nach wie vor weitgehend faktenfrei.
Dr. iur. Carsten Schütz, Direktor des Sozialgerichtes und Stiftungsrat der PalliativStiftung und ich durften uns dann für FAZ Einspruch noch den Ärger von der Seele schreiben, was hier nachzulesen ist.
Heute Mittag war ich in einer spannenden Sendung mit Zuschauerbeteiligung beim BR und ARD alpha. Tagesgespräch, 55 min Diskussion.
Mal wieder typisch deutsch : alles oder nichts. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es der Politik gelingt, eine von allen Seiten akzeptierte gesetzliche Regelung zu finden, zumindest nicht in naher Zukunft. Sterbehilfe wegen Liebeskummer ist genau so irrsinnig, wie das Verweigern der Sterbehilfe in Fällen, in denen das Weiterleben nur noch extreme Qual bedeutet. Da einen gangbaren Kompromiss zu finden, wäre die Aufgabe auch an die Gesellschaft und nachfolgend an die Politik für eine dementsprechende Regelung. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass da in den nächsten Monaten mehr Emotionen als Vernunft regieren werden.
Ich bin mit Es mir selbst nicht im Reinen – was nun richtig oder falsch ist. Ich hinterfrage mich oft, was ich mir wünschen würde. Langes qualvolles Sterben? Davor fürchte ich mich sehr und ich denke, ich wäre dann für „Hilfe – in welcher Form auch immer“ sehr dankbar. Nicht jede Qual ist mit schmerzstillenden Mitteln zu lindern oder zu beherrschen. Es geht ja nicht nur um Schmerzen – das Sterben kann über Wochen, Monate mit vielen schlimmen Begleiterscheinungen verbunden sein. Ich kann mir nur wünschen, dass mir das erspart bleibt ….
Lieber Thomas,
bei allem Respekt für Dein/Euer Entsetzen: lass bitte die NAZIKEULE aus Deiner / Eurer Argumentation!
„Die Lebenswertdiskussion darf nun auch in Deutschland wieder beginnen …“
Wir sind in allen Palli-Anliegen bei 99% Übereinstimmung, hier allerdings sehr unterschiedlicher Auffassung. Und bei den Auffassungen über „die letzten Dinge“ sollten sich die Diskutanten anständig begegnen. Die NAZIKEULE zu schwingen ist UNANSTÄNDIG !
Liebe Grüße
Benedikt
Das ist keine Nazi-Keule, wenn man schreibt, dass „die Lebenswertdiskussion nun auch in Deutschland wieder beginnen darf“. Ich kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einerseits verstehen – und zwar vor dem Hintergrund der Selbstbestimmung. Aber was heißt denn das, bitte? Auf welcher Basis treffen Menschen die Entscheidung zum Suizid? Fühlen sie sich überhaupt wert genug zu leben, und wenn nicht – warum nicht? Woher kommt ihr Eigenbild des Ungeliebt- und Wertlosseins? Sind sie sich dessen überhaupt bewusst? Wie können sie wieder gesund werden oder auch leicht loslassen? Das sind ganz tiefe Grundsatzfragen, über die unsere Gesellschaft von Kindesbeinen an viel zu wenig nachdenkt und spricht. Statt dessen sind da Angst, Wut, Schmerz. Riesenthemen. Die Einbahnstraßen Sterbehilfe und Suizid werden dem, was Menschen in sich tragen und eigentlich Gutes für sich und andere können, nicht gerecht. Darum finde ich die Entscheidung des Gerichts einen gefährlichen Schritt in eine falsche Richtung. Außerdem kratzt sie m. E. empfindlich an allem, was die Palliativmedizin und Hospizarbeit mittlerweile erreicht haben.
Danke, Frau Streck-Plath, für die differenzierte Stellungnahme! Sie spricht mir aus dem Herzen.